1985

Die Chronik.  30 Jahre   aktHivplus

1985 - Coming-out, Postwurfsendung, AZT

Auszüge aus Spiegel Nr. 39 / 22.09.1985:

》...Das Kürzel Aids ist ein Synonym für Tod und Teufel. …Die weitverbreitete Promiskuität der Homosexuellen wurde zum Vehikel der Seuche…Wenn es so kommt… wird Aids schon in wenigen Jahren...mehr Menschen töten als alle anderen Seuchen und Infektionen zusammen...»Die Aids-Epidemie hält jeden Vergleich mit den Seuchen des Mittelalters, mit Pest und Pocken aus«…Das große Sterben hat schon begonnen...Aids, ...»bringt die sexuelle Verdorbenheit der ganzen Gesellschaft zum Vorschein«....

Die Aids-Erkrankten müssen isoliert werden - wie früher bei Tuberkulose.《

Rock Hudson [60]. Am 2. Oktober 1985 stirbt der US-Schauspieler an den Folgen von AIDS. Sein Coming-out kurz vor seinem Tod – als schwul und HIV-positiv – sorgt weltweit für Aufsehen.[4]

Die BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) 

verschickt eine Postwurfsendung der Bundesregierung an alle 27 Millionen Haushaltungen.

  • Schlagzeilen

    Durch den Aidstod des US-Schauspielers Rock Hudson wird die Krankheit einer breiten Öffentlichkeit bekannt. In Deutschland dürfen ab Herbst keine Blutpräparate mehr ohne vorherigen HIV-Test verkauft werden. Über 2300 Menschen - darunter mehr als 1800 Bluter - hatten sich zuvor infiziert. [1]


    In Deutschland führen Lebensversicherer ein, dass bei Abschluss einer Lebensversicherung über einem Versicherungswert von mehr als 20.000 DM ein negatives HIV-Testergebnis erforderlich wird.[8]

  • Politik

    Öffentliche Information:

    Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) wendet sich mit einer Postwurfsendung „AIDS – Was Sie über AIDS wissen sollten“ an alle 27 Millionen „Haushaltungen“ der Bundesrepublik.[4]


    Das erste Aids-Antidiskriminierungsgesetz weltweit wird in Los Angeles erlassen.[8]

  • Aids in der Öffentlichkeit

    1985 kam AIDS in der Öffentlichkeit an.

    Ein Plakat der Deutschen AIDS-Hilfe  zeigt zwei junge Männer, die sich zärtlich berühren. Mit der Aufschrift „sicher besser - Safer Sex“ hing es nun sogar in öffentlichen Verkehrsmitteln. Durch die mit Aids einhergehende Notwendigkeit, über Sexualität zu sprechen, entstand auch eine größere Sichtbarkeit der Homosexuellen. Ermöglicht worden war diese erste Plakataktion der AIDS-Hilfe durch eine Benefizveranstaltung im Berliner Veranstaltungszelt Tempodrom, das Rosa von Praunheim, das Treffen der Berliner Schwulengruppen und die Deutsche AIDS-Hilfe organisiert hatten. Zu Gast waren unter anderem Inge Meysel, Brigitte Mira, Alfred Biolek und Andre Heller. Es war ein Auftakt zum  zivilgesellschaftlichen Engagement: Auch Teile des Iinksliberalen Bürgertums in Deutschland begannen, sich mit den Opfern der Epidemie zu solidarisieren - lange vor den offiziellen Aids-Galas, die zu Beginn der Neunziger aufkamen.[128]

  • Medizin

    Im Senegal wird HIV-2 entdeckt, eine weniger verbreitete und weniger virulente Form von HIV.[8]

  • Medikamente *

    In den USA weist der japanische Virologe Hioraki Mitsuy die Wirksamkeit von Azidothymidin (AZT) – auch Zidovudin (ZDV), ein NRTI, genannt – gegen das HI-Virus nach. AZT ist ein eigentlich fehlgeschlagenes synthetisches Krebsmittel. Es hemmt die Aktivität eines Schlüsselenzyms und unterbindet somit die Vervielfältigung des Virus.[68]


    Im Rahmen einer Phase-I-Studie erhält der erste HIV-infizierte Patient AZT.[8]


    AZT musste strikt alle vier Stunden genau nach Plan genommen werden. Es gab Pillenwecker die alle vier Stunden piepsten, auch nachts.

    Mit AZT kam es schnell zu Resistenzen.

    Dazu kamen schwere  Nebenwirkungen, weil das Medikament zunächst zu hoch dosiert wurde. Viele mussten sich  übergeben, hatten Durchfall, Schüttelfrost und gleichzeitig hohes Fieber, Kopf- und Bauchschmerzen, Gleichgewichtsstörungen, große Müdigkeit und Kraftlosigkeit.

    (Eine andere Quelle: "Es war einem ständig übel, man hatte immer so einen Eisengeschmack im Mund".[150])

    Eine sichtbare Nebenwirkung war die Lipodystrophie -ein Fettverlust oder eine Fettansammlung, oder beides- die z.B. im Gesicht, am sogenannten „Stiernacken“, im Bauchbereich, eine Veränderung des Erscheinungsbildes des Körpers hervorruft.

    Viele wollten diese Pillen deshalb nicht mehr einnehmen. 

    AZT/Retrovir galt seinerzeit als das teuerste verschreibungspflichtige Medikament, etwa 10.000 US-Dollar, pro Patient und Jahr. In den USA wurden die Kosten dafür von den Versicherungen meist nicht übernommen, die Behandlung war daher für viele kaum zu finanzieren.

    In Deutschland wurde AZT als  zugelassenes Medikament von der Krankenversicherung bezahlt, stellte also für den einzelnen Patienten kein Problem dar.

    Mit Veröffentlichung der Concorde-Studie 1994 wurde belegt, dass bis Ende der 80er Jahre AZT mit bis zu 2 g pro Tag viel zu hoch dosiert war, mit zum Teil tödlichen Folgen für die Patient:innen.[140][141]

  • Organisationen

    Vertreter verschiedener HIV-/Aids-Selbsthilfegruppen werden in die BZgA eingeladen. Damit wird die Basis für die Zuwendung an die deutsche Aidshilfe für Präventionsmaßnahmen für die Hauptgefährdetengruppen gelegt. [79]


    Erste 'Canadian Conference on AIDS' in Montreal.[2]


    In Atlanta/USA findet die erste internationale Aids-Konferenz statt.[4]


    DAH als Dachverband:

    Die im September 1983 gegründete Deutsche AIDS-Hilfe wird am 7.12.1985 als Dachverband der deutschen AIDS-Hilfen institutionalisiert.[8]


    Erste "Safer-Sex"-Broschüre der DAH.[8]

  • Zahlen

    RRKI 'Epidemiologisches Bulletin zum Welt-Aids-Tag 47_23':

    1985 gab es mehr als 5.000 Neuinfektionen.

    Der Rückgang der Neuinfektionen nach 1985 war zum einen auf hohe Anteile bereits Infizierter in besonders gefährdeten Teilgruppen, zum anderen auf Verhaltensänderungen zurückzuführen. Nachdem das Ausmaß der bereits erfolgten Ausbreitung bekannt wurde, Informationen zu Übertragungswegen verfügbar und „Safer Sex“ propagiert wurde, führte die Angst vor der tödlichen und nicht behandelbaren Infektion zu sexuellen Verhaltensänderungen, nämlich Reduktion

    der Partnerzahlen, Verzicht auf Analverkehr und Kondomverwendung.

    Für drogengebrauchende Menschen war der Rückgang der Neuinfektionen zurückzuführen vor allem auf die erleichterte Verfügbarkeit und kostenlose Abgabe von sterilen Kanülen und Spritzen sowie der erleichterte Zugang zu Substitutionsbehandlungen.

    All diese Maßnahmen waren anfangs heftig umstritten. Allerdings haben einige Länder die Wirksamkeit solcher Maßnahmen lange in Abrede gestellt und deren Einsatz lange verzögert, (wie in Russland bis heute) mit leider vorhersehbaren Konsequenzen.[127]

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