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Im Herzen von aktHivplus
René † erzählt: „AIDS und HIV und mein Leben damit."
Henry: René, schön, dass du zugesagt hast, uns etwas über Dich zu erzählen.
René: Ja, gerne.
H: Du hast die Vereinsgründung miterlebt und Zeiten, in der auf euch eine Art Treibjagd veranstaltet wurde, u.a. von Herrn Gauweiler.
R: Im Januar '91 habe ich mein positives Testergebnis bekommen, da war ich 21 Jahre alt und Verkäufer in einer Textilboutique. Als herauskam, warum ich krankgeschrieben war, wurde mir gekündigt.
Ich stand da und wusste nicht was ich tun soll. Ich habe mich dann an die AIDS-Hilfe Stuttgart gewandt. Dort hatte ich schnell ein Gespräch und zufällig ergab es sich, dass es in deren Wohnprojekt ein freies Zimmer gab. Ich habe einen Einführungskurs für ehrenamtliche Mitarbeiter mitgemacht, ich wollte Bescheid wissen über AIDS und HIV, sehen, was macht so eine AIDS-Hilfe und wofür sind die da. Ich habe mich entschlossen, da will ich mitarbeiten wenn die mich schon in ihr Wohnprojekt aufnehmen.
Während des Einführungskurses habe ich von den landesweiten Positiventreffen, damals noch in Gauselfingen, gehört. Ich bin hingefahren, ja, wie soll ich sagen, es war total aufwühlend, da saßen haufenweise gutgelaunte junge Männer und Frauen, die Spaß hatten, denen ihr Leben gut gelungen ist.
Da habe ich Oliver Trautwein kennengelernt. Er war für mich von Anfang an eine Riesen-Koryphäe, was er an Wissen zu HIV und AIDS hatte und Verbindungen hatte, wo man recherchieren kann (Anm. d. Red.: Damals gab es noch kein Internet). Wir haben uns von Anfang an gut verstanden und im Laufe der nächsten beiden Treffen tauchte dann die Idee auf, dass die Treffen doch eigentlich auch selbständig durchgeführt werden könnten und nicht von der AIDS-Hilfe ausgerichtet werden müssen.
Wenn jemand weiß, was Menschen mit HIV und AIDS brauchen, dann sind das wir. Wir haben uns dann gegründet, was für mich nicht ganz so einfach war, weil ich zwischenzeitlich bei der AIDS-Hilfe Baden-Württemberg HIV-Referent des Landes war. Unter anderem war die Ausgestaltung der Treffen der AIDS-Hilfe Baden-Württemberg mein Arbeitsgebiet. Mit der Gründung von AktHiv+*1) habe ich mir zwar ein Stück Arbeit wegnehmen lassen. Aber es ging ja in gute Hände, in den Verein.
Als ich mein positives Testergebnis bekommen hatte, wusste ich nichts über AIDS und HIV, aber gar nichts. Das war für mich so, als ob ein Meteorit eingeschlagen hätte. Man weiß, dass es das gibt, aber es hat mit mir nichts zu tun. Ich dachte, ich bin bestimmt nicht der einzige Virusträger der darüber nichts weiß. Warum nicht anderen das Wissen vermitteln, das mir selbst gefehlt hat? Das war meine Initialzündung, bei AktHiv+ dabei zu sein.
H: Damals wussten ja überhaupt wenige über HIV und AIDS. Wo hattet ihr denn euer Wissen her?
R: Eben, das war ja Anfang der neunziger Jahre, da gab's ja noch keine Therapie, garnix. Da waren wir Virusträger, die mehr Bescheid wussten als Ärzte oder sogenannte Fachleute. Wir mussten damit leben, mussten selbst unsere Erfahrung sammeln. Diese Erfahrungen, positiv wie negativ, haben wir auf den Treffen weitergeben können, andere sollten solche Sachen erst gar nicht erleben und sie sollten wissen wie sie sich verhalten können.
H: Ja, Hintergrundwissen gab es damals nicht. Das Virus wurde erst Anfang der Neunziger Jahre identifiziert.
R: Wir haben viele Informationen von der 'Projektinformation' (projektinfo.de) in München erhalten, was das medizinische betrifft, die waren damals sehr sehr aktiv und haben die neuesten Studienergebnisse veröffentlicht die es irgendwie gab. Oliver war ja im Gesundheitsamt und hatte darauf Zugriff. Auf den Treffen konnten wir deshalb vorstellen, welche neuen Therapien es gibt. Es gab ja sonst nichts, man musste selbst handeln.
Es gab auch bei den Fachleuten viel Unsicherheit und totalen Blödsinn. Beispiel, wir hatten mal eine Schweizer Ärztin auf einem Treffen, die hatte vorgeschlagen, dass wir in großen Messingkesseln in Käse baden sollten, das würde den Virus im Körper töten.
H: (fassungslos) ...au wow....
R: Ja, mit solchen Sachen hattest du zu tun und musstest andere aufklären dass das der größte Mist ist, der da publiziert ist. Mir ging es darum, HIV-Infizierte zu befähigen und, ich will nicht sagen, ausbilden, aber weiterbilden.
H: Hattet ihr damals schon Vernetzung in andere Bundesländer, zu anderen AIDS-Hilfen, oder der deutschen AIDS-Hilfe? Oliver hatte ja da gearbeitet.
R: Ja, auch so ein Job den ich von Oliver übernommen hatte als es ihm nicht mehr so gut ging. Ich war der Beirat der AIDS-Hilfe Baden-Württemberg. Was die Kooperation von AktHiv+ betrifft, natürlich gab es die mit der deutschen AIDS-Hilfe. Durch uns zum Beispiel, hatte sich auch ein Verein in Hessen gegründet, wir hatten mit ihnen zwei gemeinsame Treffen, als bundesländerübergreifendes Projekt. Wir sind als Team zu den Münchner AIDS-Tagen gefahren und waren da in den Workshops, um davon auf unserem nächsten Treffen zu berichten. Es ging nicht nur um medizinische Themen, es ging zum Beispiel um Rechtsberatung und Patientenverfügung.
H: Deine Diagnose betreffend: Bist du zum Test gegangen weil du Symptome hattest?
R: ja, ich hatte in der Silvesternacht einen Darmverschluss und war als Notfall im Krankenhaus. Nach drei Tagen kamen die Ärzte und fragten mich, naja, schwul und da sollte man vielleicht einen Test machen. Ich sagte, naja, dann machen sie den doch, interessiert mich nicht. Ich war nach der Woche im Krankenhaus bereits eine Woche zuhause als sich das Krankenhaus gemeldet hat, ich solle zur Nachuntersuchung kommen. Naja, und da haben sie mir dann halt gesagt, dass ich Virusträger bin und was ich jetzt in Zukunft zu tun hätte. Ich darf die Zahnbürste nicht mehr teilen, ich soll Kondome verwenden, gesund leben, rauchen aufhören, kein Alkohol mehr, so die ganzen Sachen, die man damals mutmaßte.
H: Was hat die Diagnose mit dir gemacht?
R: (Schweigt länger) Was hat die Diagnose mit mir gemacht? Ich würde sagen, da ich durch den Virus so viele unterschiedliche Leute kennengelernt habe, bin ich ein Stück weltoffener, geworden. Die hätte ich sonst in meinem kleinen Lebensbereich nie kennengelernt.
Es hat mich zu einem Kämpfer gemacht der nicht mehr alles geschluckt hat und es machte mich zu einem Aktivisten, ja.
H: Hattest du von Anfang an den Willen, ich will weiterleben? Ein anderer, der damals auch im Verein war, erzählte mir, es gab auch welche, die haben dann einfach den Kopf hängen lassen und haben auf den Gauselfinger Treffen die Sau raus gelassen, weil man ja nicht weiß wie lange man noch lebt.
R: Wir hatten beispielsweise in der AIDS-Hilfe Stuttgart einen, der hat seinen Test bekommen, dem ging es super, der hatte offensichtlich keine Schwierigkeiten, war verheiratet, hatte ein Kind, war alles happy, bis zu dem Zeitpunkt, wo er eine Lungenentzündung und seine Diagnose bekommen hat. Damit konnte er dann überhaupt nicht umgehen. Was hat er gemacht? Er ist in den Wald gegangen und hat sich eine Machete reingerammt. Weißt du, das ist ... ich kriege Gänsehaut, das sind so Geschichten, die du damals auch erlebt hast.
H: Wenn ich etwas frage, auf das du nicht antworten möchtest, dann sag mir das.
R: Wenn ich was nicht sagen will, dann dürfte ich mich nicht für das Interview nicht zur Verfügung. Ich war damals jeden Tag in zwei bis drei Schulklassen und habe versucht über HIV und AIDS aufzuklären. Da gab es keine Frage die ich nicht beantworten wollte, weil ab einem gewissen Zeitpunkt, wo du sagst, nein, das ist mir zu privat, dann kommt bei den Zuhörenden auch nichts mehr an. Dann denken die nämlich, der erzählt mir sowieso nur das was er will. Damit kommst du emotional an keinen heran.
H: Es ist aber nicht selbstverständlich, dass jemand so offen wie du über sich erzählt.
R: Ja, selbstverständlich nicht. Umso wichtiger war es. Wenn ich heute sehe, dass HIV-Positive in Schulen gehen und da diskriminiert und angefeindet werden, nur weil sie das Thema publik machen möchten, habe ich das Gefühl, wir sind heute schlimmer dran als in den Neunzigern, als es bedeutend hoffnungsloser war mit der Diagnose ein langes Leben zu haben als heute.
H: Machst du heute noch Prävention? Gehst du heute noch in Schulen?
R: Nein, in Schulen gehe ich nicht mehr, dafür bin ich zu alt. Als ich Mitte dreißig war, spürte ich, dass ich zu den Jugendlichen keinen Draht mehr hatte. Ich war nicht mehr der jugendliche, lockere, leichte Typ. Ich kam an den Schulen nicht mehr so an.
Zudem bin ich gesundheitlich in den letzten zwei Jahre durch meinen Schlaganfall und das Fortschreiten der Infektion eingeschränkt.
Ich mach heute noch Prävention für die Deutsche AIDS-Hilfe, ich bin Rollenmodell bei der bundesweiten Kampagne 'Ich weiß was ich tu'. Dort sind meine beiden Schwerpunktthemen in der zielgerichteten Prävention die Themen 'Leben auf dem Land mit HIV' und 'HIV und Depression'.
H: Du hast damals erlebt, wie teilweise hilflos die Politik mit AIDS umgegangen ist, es gab einen Herrn Gauweiler und es gab eine Frau Süßmuth. Wie hast du das damals wahrgenommen?
R: Das Verhalten von Gauweiler ist echt ein heftiges schwieriges Thema gewesen, genauso wie eine protestantische Gruppe, deren Aussage war, dass der HI-Virus nur mit einer unmoralischen Lebensweise zu tun hat. Es gab, ungefähr 1993 oder '94 in München eine bundesweite Versammlung von Menschen mit HIV und AIDS. Wir waren ca. 300 Teilnehmer und in einer Jugendherberge untergebracht. Als Programmpunkt nach der Eröffnung war ein Trauermarsch durch die Münchner Innenstadt geplant, wo wir an die vielen Verstorbenen erinnern wollten. Etwa 150 Leute waren bei dem Trauerzug dabei, von den 150 Leuten hast du aber nichts gesehen, da wir von mindestens 500 Polizisten eingekreist waren, angeblich zu unserem Schutz. Es kam mir nicht so vor, als ob die mich schützen wollen, sondern die Bevölkerung vor mir schützen wollem. So haben die sich auch verhalten. Weißt du, dann laufen neben dir Polizisten mit Maschinengewehr um angeblich diesen Demonstrationszug abzusichern. Das kriegst du erst gar nicht in den Kopf, also das war eine Diskriminierung und eine Verurteilung von uns seitens der Stadt und der Regierung. Das wollte ich nicht wahr haben. Einige Tage danach sind mir so viele Sachen bewusst geworden, die taten so weh. Ja, und da mussten wir etwas dagegen tun. Wir mussten versuchen immer mehr Menschen zu vermitteln, dass AIDS zwar ein Problem ist, dem man sich seitens der Medizin und der Gesellschaft dringend annehmen muss, aber dass es nicht von Populisten medienwirksam aufgebläht werden darf.
H: Was denkst du, wie geht die Öffentlichkeit heute mit dem Thema um?
R: Ich lebe in einem 800-Seelen Dorf. HIV ist hier überhaupt kein Thema. In meinem Umfeld wissen alle dass ich krank bin, mein Mann, Gott sei Dank ist es nicht. Es geht um das Kranksein. Dass ein Mensch krank ist, ist schlimm, egal was er hat. Wir haben auch unwahrscheinlich viele Krebsfälle hier bei uns im Dorf. Das wird alles zusammengepackt, Krankheit ist Krankheit.
Ich arbeite noch einen Tag in der Woche in einer Schwulen-Sauna in Berlin. Ich bin oft entsetzt, wie oberflächlich Leute mit ihrer Gesundheit umgehen. Sie riskieren keine Kondome zu benutzen, sie ballern sich einen über den Durst, lassen sämtliche Hemmungen fallen. Nachher gehen die mit irgendwelchen Geschlechtskrankheiten nach Hause. Bei allem Verständnis für Party und Leben und Freude, damit tue ich mich schwer.
H: Wie war nach der Diagnose dein Coming-Out in der Familie, bei Freunden?
R: Ich habe sofort meinen Job verloren. Meine Eltern waren schockiert, meinten dann aber, 'das werden wir irgendwie hinkriegen'. Mein Freundeskreis hat sich komplett aufgelöst. Mit AIDS wollte keiner etwas zu tun haben, sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen
Es gibt nur einen Freund, M., den es heute immer noch gibt. Wenn ich eine Freundschaft, eine Beziehung wollte, habe ich öfter zu hören bekommen, 'ins Bett können wir miteinander, gibt ja Gummis, aber eine Beziehung kann ich mir mit dir nicht vorstellen. Eine Beziehung, das will ich aber nicht, weil ich keinen sterbenden Partner haben will'. Ja, das war schwierig. (schweigt). Meine Familie hat so lange still gehalten bis der erste Zeitungsartikel mit Foto von mir erschien, da mussten sich meine Eltern in der Öffentlichkeit für mich rechtfertigen. Sich rechtfertigen dafür, dass sie einen HIV-infizierten, homosexuellen Sohn haben, und das brachten weder mein Vater, noch meine Mutter fertig. Also beschloss ich, die Beziehung, diese Zwangsbeziehung mit der Familie zu beenden. Damit lebe ich ganz gut.
H: Du hast mit deinen Eltern keinen Kontakt mehr?
R: Nein, keinen Kontakt mehr. Meine Schwester hat geheiratet und hat mich damals zu ihrer Hochzeit eingeladen, Ich habe sie gefragt, was ist mit meinem Freund? 'Nein, das geht nicht'. Also wenn, dann müsste ich alleine kommen, sie will ja ihrer neuen Familie kein schwarzes Schaf präsentieren. Ich sagte meiner Schwester, 'wenn ihr mich nicht so akzeptieren könnt wie ich bin, dann brauchen wir nicht zwanghaft den Kontakt halten, nur weil wir den selben Erzeuger haben'. Also habe ich mit der Familie überhaupt keinen Kontakt mehr. Und das finde ich auch nicht schlimm. Es sind unterschiedliche Lebenswelten die nicht zusammenpassen.
H: Hast du noch Geschwister außer deiner Schwester?
R: Nur eine Schwester, vier Jahre jünger.
H: Da hast du aber auch keinen Kontakt mehr?
R: Nein. Ich weiß, dass sie verheiratet ist, drei Kinder hat und ein riesiges Gestüt aufgezogen hat. Durch Ihre Heirat und mit dem, was sie sich mit ihrem Mann aufgebaut hat, ist sie richtig reich geworden. Das weiß ich von meiner Mutter, weil meine Mutter einmal im Jahr den Rappel kriegt und mich dann besoffen anruft um mir zu erzählen was meine Schwester alles Tolles macht. Es belastet mich aber nicht die Bohne, überhaupt nicht.
H: Tatsächlich nicht? Das ist doch eigentlich schlimm.
R: Was schlimm war, ist, dass meine Großmutter verstorben ist, ungefähr ein halbes Jahr nach meiner Diagnose. Meine Großmutter war die Erste ,der ich erzählt habe, dass ich schwul und Virusträger bin. Meine Großmutter lebte 800 Kilometer weiter weg, wir hatten deshalb nur telefonischen Kontakt. An dem Tag, als meine Großmutter starb, habe ich mit meiner Schwester telefoniert. Sie sagte sie zu mir, och, Oma geht es gut. Da war meine Großmutter aber schon tot.
Sie haben mir eine Trauerkarte geschickt. An dem Tag, an dem ich die Karte erhalten habe war die Beerdigung. Man hat mich zur Beerdigung meiner Großmutter nicht dabei haben wollen. Das war dermaßen verletzend, dass es für mich heute kein Problem ist, mit meinen Eltern keinen Kontakt mehr zu haben. Wer sich mir gegenüber so verhält, also sorry.
H: Ja, das verstehe ich. Du hast erzählt, dass du in deinem Dorf keine Diskriminierung erfährst. Lässt sich das so übertragen auf den Rest der Welt? Was wäre heutzutage das Wichtigste das zu tun ist?
R: Also ich wollte schon immer, dass man seine Lebenswelten zeigt, teilt, miterlebt. Also nicht nur meine Lebenswelt, sondern auch andere Lebenswelten.
Du sagtest gerade, ich hätte hier im Dorf keine Diskriminierung erfahren. Das ist so nicht richtig. Ich habe keine Diskriminierung in puncto HIV erfahren, in puncto Homosexualität jedoch ganz schön. Beispiel: Mein Mann hatte die Idee, sich hier für den Gemeinderat zu bewerben. Und er wurde auch gewählt. Er war 3 Jahre Gemeinderat, dann hat der alte Bürgermeister gesagt, er macht nicht weiter. Mein Mann hat sich zur Kandidatur aufstellen lassen und wurde gewählt. Das Thema HIV war kein Thema, aber das Thema schwul sein. Man kann doch nicht so einen Arschficker als Nummer eins im Dorf haben, solche Sachen kamen da.
H: Aber wir hatten ja mal einen regierenden Bürgermeister in Berlin!
R: Berlin ist hundert Kilometer weg.
H: Das ist der Unterschied.
R: Wir leben hier im landwirtschaftlich geprägten Osten. Selbst innerhalb der schwulen Community in Berlin erlebst du auch noch Ablehnung beim Thema Sex.
H: In welcher Art und Weise erfahrt ihr Diskriminierung jetzt, offen oder so dass ihr nur mitbekommt, da gibt es hintenrum Gespräche.
R: Sowohl als auch.
H: Da gehen Leute zu dir und sagen, du schwule Sau oder irgendwas?
R: Ist mir schon am Bahnhof passiert, ja.
H: Oh je. Und das, was macht das mit dir?
R: Weißt du, damit musst du versuchen zurechtzukommen und damit zu leben. Ich bewerte das nicht mehr über, also, lass sie doch da in ihrem Gedanken'gut' dieser Partei (Anm. d. Redaktion: Es handelt sich um eine populistische rechtsextreme Partei) alleine herumwursteln, und von mir aus auch so etwas von sich geben, das macht mir nichts mehr aus. Dafür habe ich das schon zu oft erlebt. Ich denke, aber so ein Neunzehnjähriger, der seine Sexualität gerade entdeckt und vielleicht nicht das gestandene Mannsbild ist, der wird weiterhin anecken und sich Kommentare anhören müssen und es wird auch nicht weggehen.
Ich habe die These, dass Homosexuelle erst anerkannt und respektiert werden, wenn eine Frau genauso wie ein Mann anerkannt wird und Weiblichkeit kein Makel mehr ist. Ich denke, Schwule werden nur angefeindet, wenn sie durch ihre Weiblichkeit als Homosexuelle sichtbar sind, und Weiblichkeit bei Männern, das wollen die Leute nicht.
Als mein Mann Bürgermeister geworden ist, haben sie zu ihm gesagt, guck aber dass du deinen Mann ein bisschen da raus hältst. Ich bin nämlich die sichtbare Tunte von uns beiden. Meinem Mann merkst du nichts an, das ist so ein typisches gestandenes Mannsbild, ich nicht.
H: Dann haben es gerade viele Jugendliche, die sich nicht mit ihrem geborenen Geschlecht identifizieren, Trans oder Queer sind, richtig schwer. Aber solche Jugendliche wird es in eurem Dorf wohl nicht geben, oder?
R: Nee.
H: Also zumindest nicht offen.
R: Nein, nein. Wir sind hier im Dorf nicht das einzige schwule Paar. Wir sind aber die einzigen die das offen leben. Das andere schwule Pärchen lebt hier schon dreißig, fünfunddreißig Jahre zusammen, es darf keiner wissen, dass sie homosexuell sind. Es weiß aber jeder. Nur offiziell darf es keiner wissen. So möchte ich nicht leben.
H: Ja, immer in diesem Zwiespalt zu sein.
R: Sie müssen doch immer aufpassen. Ich sag dir ein Beispiel. Mein Mann und ich wollten über unserem Hochzeitstag drei Tage mal einfach so raus und wir sind nach Polen gefahren. Ich habe mich in Polen so was von unwohl gefühlt, eine Woche vorher hatten sie ein homosexuelles Pärchen auf der Straße aufgegriffen und für vierundzwanzig Stunden inhaftiert. Weil sie Händchen gehalten hatten. Fühlst du dich in so einem Land noch wohl? Also ich nicht. Ich bin froh, dass ich in Deutschland lebe und es im Prinzip möglich ist, so zu leben wie ich will. Auch wenn man immer noch mit negativen Reaktionen rechnen muss.
H: Ich habe den Eindruck, der Trend geht wieder zu einer Zeit des 'Biedermeier' zurück, wo wir wieder Rückschläge erleben müssen, von dem was mal erkämpft wurde.
R: Weißt du, wenn ich so einen aus dieser populistischen rechtsextremen Partei höre, der ja davon spricht, wir brauchen mehr Kinder, wir brauchen einen Völkerbund vereinter Nationen, da wird mir schlecht. Das ist eine Nazisprache. Das ist eine Sprache, die kann jeder Trottel irgendwie verstehen, ohne weiter nachdenken zu müssen. Bei uns im Dorf haben 34% diese populistische rechtsextreme Partei gewählt und haben aber doch gleichzeitig einen schwulen Mann als Bürgermeister. Wie passt das zusammen? Eigentlich gar nicht.
Ja, Solidarität, Community, gemeinsam was erreichen, das ist irgendwie anscheinend nicht mehr gewünscht, es gibt nur noch Einzelkämpfer und Egoisten.
Umso wichtiger sind zum Beispiel unsere landes- oder bundesweiten Treffen um für uns das wichtige Gemeinschaftsgefühl haben zu können.
H: Gibt es etwas, das du gerne noch sagen möchtest?
R: Ich freue mich einfach riesig, dass so ein Baby, wie aktHivplus heute noch da. Es wird immer noch gebraucht. Ich freue mich riesig, dass es Menschen gibt, die ehrenamtlich arbeiten und diese Treffen organisieren und veranstalten. Das wäre mir wichtig zu sagen. Ich hab jetzt Gänsehaut bei den Worten, ja.
Die landesweiten Positiven-Treffen waren für mich so was von wichtig und toll. Es ist schön, dass man heute noch jemand trifft von damals, von den ehemaligen Gründungsmitgliedern oder so. Wenn du von denen wieder was hörst oder siehst, oh die leben noch und denen geht es gut, das ist schön.
H: Dass noch einige durchgehalten haben von denen damals jeder dachte, jetzt habe ich mein Todesurteil.
R: 1994 kamen die ersten Medikamente, ab dem Zeitpunkt hat sich das Leben mit HIV und AIDS komplett gewandelt.
Das Leben heute als HIV-Infizierter kannst du in überhaupt keiner Weise mit dem in den Neunzigern vergleichen, das geht nicht. Und trotzdem ist der Bedarf an Zusammengehörigkeit und Informationen noch immer so groß.
H: Hattest du damals sofort Medikamente eingenommen als die auf den Markt kamen?
R: Nein, ich habe keine Medikamente genommen. Ich hatte in den ersten Jahren nicht das Gefühl, dass diese HIV-Therapie wirklich hilft. Wegen der vielen Nebenwirkungen sind so viele gestorben. Im Laufe der Jahre hat sich das verbessert. Die Medikamente wurden besser , die Nebenwirkungen weniger. Aber, zum Beispiel, damals musstest du deine Tabletten mit Grapefruitsaft einnehmen, also wenn du aus dem Haus gegangen bist und es fiel in die Tablettenzeit, musstest du dann irgendwo Grapefruitsaft herkriegen. Das war nicht das was ich wollte. Ich habe mich damals damit getröstet, gut, ich werde jetzt nicht alt, ich werde keine alte Tunte werden. Als Jugendlicher fand ich es erschreckend, alte überkandidelte Männer zu sehen, da hab ich mich dann immer getröstet, nein, so werde ich nicht. Na ja, und heute hab ich doch das Problem, heute bin ich eine alte Tunte. Und das ohne Therapie. Erst 15 Jahren nach meiner Diagnose bin ich auf HIV-Therapie und hatte sofort Depressionen. Dann habe ich bestimmt 5, 7 Jahre immer wieder die Therapie gewechselt, aber ich hatte immer wieder Depressionen, immer wieder Depressionen, in unterschiedlichsten Ausprägungen . Dann hat man angefangen zusätzlich zu HIV die Depressionen noch mitzubehandeln, ich habe einen Riesencocktail an Medikamenten in mich rein gefressen und irgendwann dachte ich, das kann es nicht sein . Also setzte ich die Medikamente ab und hatte keine Depressionen mehr. Ja, und das mach ich jetzt seit 3 Jahren , also ich nehme seit 3 Jahren keine Medikamente. Es dauerte ungefähr ein halbes Jahr bis das Immunsystem komplett entgiftet war. Noch gibt es mich. Aber halt auch nicht mehr lange, das müssen wir mal ganz realistisch betrachten. Ich habe mich dafür entschieden lieber früher zu sterben als unter einer HIV-Therapie mit Depressionen leben zu müssen. Für die meisten unverständlich, aber ich komme damit gut zurecht und mein Mann mittlerweile ja auch.
H: Das hätte ich dich mit Herzklopfen auch fragen wollen, ich hatte erzählen hören, dass du seit 3 Jahren nicht therapiert bist. Keiner mit dem ich darüber gesprochen habe, verstand das.
R: Ja, das ist ja auch mein Leben, es sind meine Depressionen die ich erleben musste, ich bin nicht mehr ich gewesen, das war nicht mehr mein Leben, das hat so nicht funktioniert. Und weißt du, wenn du mal erlebt hast, dass aufgrund einer Medikation dein Gehirn anfängt nur noch den Satz zu produzieren, 'guck wie du dich von der Erde runter kriegst', also ich hab suizidale Depressionen erleben müssen, das ist Horror. Wenn du deinen Kopf nicht mehr beeinflussen kannst, weil ein Satz ständig in einer Spirale vor deinen Augen auftaucht, 'bring dich um, guck dass du dich von der Erde bringst'. Und dann setzt du die HIV-Therapie ab, und du hast diese Gedanken nicht mehr, das war so befreiend. Und ich hätte auch nicht vermutet dass es so schnell geht. Übrigens sind es 10 % der HIV-Infizierten die als Nebenwirkung unter Depressionen leiden. Ich finde, das ist eine ganze Menge. Erfährst du da irgendwo wo was drüber? Nein.
H: Ja, da pflichte ich dir bei. Das ist ganz selten überhaupt ein Thema.
R: Ja, das ist etwas was du nicht vermarkten kannst. Mit dem Thema Nebenwirkungen, Begleiterscheinungen unter HIV-Therapie tun sich sämtliche AIDS-Hilfen schwer. Die deutsche AIDS-Hilfe hat sich beispielsweise überlegt, ob ich noch tragbar bin als Rollenmodell für die Kampagne 'Ich weiß was ich tu'. Du willst ja keinen Aidskranken präsentieren wenn der Slogan ist, 2030 No-AIDS. Was man schaffen wird, also was die HIV-Medikation betrifft. Dass wir 2030 das Krankheitsbild AIDS nicht mehr haben werden.
H: Hattest du denn überhaupt probiert ein anderes Medikament zu finden das dir keine Depressionen macht?
R: Alle HIV-Therapien und alle Antidepressiva die man so bekommen kann habe ich durch.
H: Dann verstehe ich jetzt dass du keine Medikamente mehr nimmst.
René, vielen Dank für das Gespräch, Danke dass du so offen über dich berichtet hast.
Ich wünsche dir alles Gute.
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