1988

Die Chronik.  30 Jahre   aktHivplus

1988 -  „Posithiv-Team“ - unsere Roots

  • „Posithiv-Team“

    Das erste Treffen von Menschen mit HIV/Aids wurde von zwei Betroffenen aus Karlsruhe (Uli Meurer und Oliver Trautwein) im Jahr 1988 unter dem Dach der Aidshilfe Baden-Württemberg organisiert.[24] und nennt sich noch „Posithiv-Team“


    Oliver Trautweins öffentliches Coming-out beim 2. Europäischen Positiventreffen ın München.[24]


    Oliver Trautwein ist Streetworker in Karlsruhe für die schwule Szene.[47]

Aidsaufklärung

Die große Gefahr, sich zu verlieren

Streetworker kümmert sich „vor Ort“ um Betroffene

Von unserer Mitarbeiterin Saskia Stuven


„Ich möchte so lange weiterarbeiten, wie ich kann, weil es Spaß macht und eine Bewältigungsstrategie ist“, erzählt Oliver Trautwein über seinen Beruf. Auch wenn ein Großteil seiner Arbeit in verräucherten Kneipen und hauptsächlich nachts stattfindet. Der 27 jährige ist vom Gesundheitsamt als Streetworker für die Aidsberatung eingestellt. Er kümmert sich vor allem um homo- und bisexuelle Männer, die er in der „Szene“ trifft, wo sich viele Betroffene aufhalten, Oliver ist selbst schwul und HIV-positiv.

In Kneipen, Bars und Parks zu gehen und sich dort als Ansprechpartner bekanntzumachen und einfach „da zu sein”, gehört zu seinen Aufgaben. Ziel seiner Arbeit ist es, Schwule zu unterstützen und sie bei Problemen wie der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises, Partnerschafts-schwierigkeiten und bei Fragen zu Medizin, Arbeitsrecht, Sozialrecht und Ernährung zu beraten. „Streetwork“ bedeutet für Oliver Sozialarbeit vor Ort. „Wenn die Leute nicht zur Beratungsstelle kommen, dann muß diese eben zu den Leuten kommen”, meint er lachend, wird daraufhin aber schnell wieder ernst. Besonders schwierig seien die homo-sexuellen Männer zu erreichen, die nicht zu ihrer Veranlagung stehen und in der Regel verheiratet sind. Oder junge Leute, die erst zu ihrer Homosexualität finden müssen. „Das läuft alles sehr anonym und versteckt ab, und wer mit sich selber nicht klar kommt, sperrt sich auch gegen alles andere“, sagt Oliver. Ganz wichtig es, zu den Menschen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, um dadurch auch Verhaltensänderungen zu bewirken, und zwar ohne erhobenen Zeigefinger.

Meistens lernt er die Leute an der Bar kennen.

„Ich setze mich an die Bar und fange ein Gespräch an. Irgendwann kommt die Frage „Wo arbeitest du?“, erzählt er. Aufdrängen möchte er ihnen das Gespräch aber nicht. er überlässt es jedem selber, über seine Probleme zu reden. Sehr froh ist er darüber, dass nicht der Eindruck da ist, wer sich mit ihm unterhält, hat automatisch etwas mit Aids zu tun. Die Leute sollen auch nicht das Gefühl haben, dass sie mit ihm nur über Aids reden müssen. Eine wichtige Rolle spiele auch der Wirt in den Kneipen, da dieser zu sehr vielen Leuten Kontakt habe. Der Wirt nehme da eine „Mittlerfunktion“ ein.

Neben dieser Arbeit führt Oliver auch Aidsaufklärungs-kampagnen in Jugendzentren, Schulen und Betrieben durch.



Leider sei gerade die Nachfrage in Schulen sehr gering, stellt er bedauernd fest.
Neben dieser „Primärprävention“, also die Aufklärung über Ansteckungswege, nimmt die „Sekundär-prävention“ auch eine wichtige Funktion ein. Sie soll Beratung und und Hilfe für Infizierte und ihre Krankheiten bieten, für die sie anfällig sind. Die „Tertiärprävention“ bedeutet Sterbebegleitung. Den Aidskranken soll geholfen werden, menschenwürdig zu sterben.

Eine Zeitlang hat Oliver Trautwein auch an Aids erkrankte Menschen im Städtischen Klinikum besucht. Hier habe er aber die Grenze seiner eigenen Belastung erfahren. In seinem Zimmer im Gesund-heitsamt hängen an der Wand schon über 30 Trauerkärtchen, die an die Verstorbenen erinnern. „Die Freunde sterben einfach so weg. Man muss aufpassen, nicht in Depressionen zu verfallen. Bei dieser Arbeit besteht die Gefahr, sich zu verlieren“, erzählt er. Dann sei es wichtig, Erfolgserlebnisse zu schaffen.

Auch seine Familie steht zu ihm, mit ihnen kann er über seine Probleme reden. Manchmal sei er an einem Punkt angelangt, wo er nicht mehr könne, wo er denkt, er müsse mit dieser Arbeit aufhören. Dann sei aber immer das Bewußtsein da: „Oliver, mach weiter, du kannst den Karren doch nicht so stehen lassen“. In so einer Situation geht er nach Hause und nimmt erstmal ein Bad. Er verreist auch sehr gerne, um einfach etwas anderes zu sehen. Dadurch, daß er arbeite und sich beschäftige, habe er sich mit seiner Infektion arrangiert. Damit helfe er sich auch selber, sagt Oliver. „Wenn ich ganz unten bin, ist immer dieser Funke da, und der heißt: „Ich möchte aber leben“.

Durch Gespräche versucht der Streetworker Oliver Trautwein das Vertrauen von Betroffenen zu gewinnen und Verhaltensänderungen zu bewirken.                                                                                                                                                        (Foto: Donecker)

Das rot-weiß-schwarze Logo mit dem Claim "Gib Aids keine Chance" kennen heute 90 Prozent der Bevölkerung.

Berichte über die rasante Verbreitung des Virus und die Tatsache, dass mittlerweile auch heterosexuelle Männer, Frauen und Kinder infiziert waren, verbreiteten Angst. 60 Prozent der Westdeutschen zählten 1987 Aids zu den gefährlichsten Krankheiten, und 92 Prozent meinten gar, dass niemand vor dem Virus sicher sei. Laut Umfragen sprachen sich 51 Prozent der Bürger für eine namentliche Meldepflicht HIV-positiver Menschen aus. 

Um einer Panik entgegenzuwirken startete 1987 die im Auftrag des Gesundheitsministeriums entwickelte Kampagne „GIB AIDS KEINE CHANCE“. Die Verbreitung von HIV im Bundesgebiet sollte durch Aufklärung und den Hinweis auf Präventionsmöglichkeiten gestoppt werden, das Verantwortungsbewusstsein der Bürger gefördert und ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, das eine Stigmatisierung Infizierter verhindert. Die BZgA kooperierte auch mit der 1983 von Aktivisten der Schwulenbewegung gegründeten „Deutschen AIDS-Hilfe e.V.“ (DAH).

1985 war auf Bundesebene die Entscheidung gefallen, der DAH die Aufklärung Homosexueller anzuvertrauen und ihre Arbeit staatlich zu fördern. Während die BZgA fortan eher die „breite Bevölkerung“ erreichte, entwarf und verteilte die DAH zielgruppenspezifisches Informationsmaterial. [37]

  • Politik

    Der Münchner Virologe und Berater von Peter Gauweiler, Prof. Frösner, bezieht in einer der damals bedeutendsten deutschen Zeitschriften zu Aids Stellung auf die Frage wirksamer Medikamente und deren Auswirkungen:

    (in ‚AIDS-Forschung‘, Juni 1988) 

    Die Sorge galt nicht der Situation Hunderter, Tausender HIV-Positiver und Aids-Kranker, der Frage, wie ihr Leid, ihr Sterben verringert werden könne. Die Sorge galt (einzig) der Allgemeinbevölkerung. Sollten wir HIV-Positiven, wir Aids-Kranken am besten ‚einfach‘ (aus) sterben – um das Problem so zu lösen?[82]


    Rita Süßmuth wechselt  1988 von ihrem Ministerposten als Bundesgesundheits-Ministerin zu  ihrem neuen Posten als Bundestagspräsidentin. Am 23.November spricht sie über ihren Kampf in der Aids-Politik, hier ihre Rede. (Dauer 3min)[125]


    Die Verordnung zur „Laborberichtspflicht“ macht die anonymisierte Meldung positiver HIV-Tests durch die testenden Labors zur Pflicht und ergänzt die existierende anonyme Meldepflicht von Aids für eine bessere Erfassung und Analyse der epidemiologischen Entwicklung von HIV/Aids durch das Robert Koch Institut.[132]

  • Schlagzeilen

    Der Verband der Lebensversicherungsunternehmen entscheidet für alle Anträge auf Lebensversicherung eine Frage nach einem vorliegenden positiven HIV-Antikörpertest zu empfehlen. Für alle Lebensversicherungen über 250.000 DM Versicherungssumme wird empfohlen, in die dabei fälligen ärztlichen Untersuchung auch einen HIV-Antikörpertest einzubeziehen. Bei HIV-positiven Antragstellern sollte ein Vertragsabschluss abgelehnt werden.[10]


    Verordnung zur ‚Laborberichtspflicht‘ – Pflicht der anonymisierten Meldung positiver HIV-Tests durch die testenden Labors.[10]

  • Organisationen

    Die Welt-Gesundheitsorganisation WHO bestimmt den 1. Dezember zum jährlichen Welt-AIDS-Tag.[4]


    Gründung der International Aids Society

    Verband von HIV-Experten aus mehr als 170 Ländern.[7]


    Gründung von "Positiv e.V." organisiert und veranstaltet bundesweite Positiventreffen im Waldschlösschen.[10]


    Deklaration des Weltärztebundes (World Medical Association, WMA) nach der Ärzte ethisch verpflichtet sind, Aids-Patienten und HIV-Positive angemessen zu behandeln.[10]

  • Zahlen

    HIV Infiz. ges. D: 27.703 HIV, 2.779 AIDS [47]

    HIV Tote. ges. D : 1.146 [47]

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